Börsianer beschäftigen sich immer wieder mit der Frage, was wirklich Einfluss auf die Bewegung der Aktienmärkte hat. Was sind die richtigen Indikatoren und Konjunkturdaten, auf die es zu blicken gilt, um eine Trendwende an den Aktienmärkten am besten vorherzusehen? Dabei werden komplexe Modell erstellt, Arbeitsmarktdaten, Investitionsgüterausgaben, Staatshaushalte etc. analysiert. Die Auswahl an Indikatoren ist riesig und schier unüberschaubar. Zudem geben verschiedenen Indikatoren unterschiedliche Signale, die sich zum Teil widersprechen. Kurz gesagt, ist die Materie sehr komplex und schwer zu durchblicken.
Das gilt insbesondere für uns als Aktieninvestoren. Wir wollen uns vor allem mit den Unternehmen selber beschäftigen und nicht unsere wertvolle Zeit mit der Analyse von Makrodaten aufwenden. Dennoch ist es natürlich sinnvoll, einen Überblick über die Makrolage zu haben, um eventuell das Risiko im Portfolio anpassen zu können, also die Cashquote zu erhöhen wenn der Markt heiß gelaufen ist oder zu senken, wenn wir uns in einer Aufwärtsphase befinden.
Einen sehr interessanten Ansatz hat dabei Matt King von der Citigroup entwickelt. Dieser unterteilt einen Konjunkturzyklus in vier Phasen, mit jeweils unterschiedlichen Auswirkungen für die Entwicklung von Anleihen und Aktien. In der Tat müssen wir uns darüber bewusst sein, dass die Anleihemärkte ungleich größer sind als die Aktienmärkte. Das bedeutet, dass eventuelle Anzeichen von Instabilitäten in der Konjunktur vermeintlich eher an den Anleihe- und Zinsmärkten abgelesen werden können, als an den Aktienmärkten. Insofern spielen Anleihen in dieser Betrachtung eine ganz entscheidende Rolle. Für die Aktienmärkte ist, wie bei einzelnen Titeln auch, die Bewertung ein wichtiger Faktor. Zu teuer bewertete Aktien werden über kurz oder lang korrigieren.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die einzelnen Phasen:
Es wird deutlich, dass die Bewegungen von Anleihen und Aktien in allen vier Phasen unterschiedlich verlaufen. Während die Bewegungen in den Phasen 1 und 3 gegenläufig sind, steigen bzw. fallen die Kurse von Anleihen und Aktien in den Phasen 2 und 4 in gleichgerichteter Weise. Wir sprechen hierbei bei beiden Anlageklassen von Kurssteigerungen. Bei Anleihen bedeuten steigende Kurse sinkende Renditen und sinkende Kurse steigende Renditen. Da Anleihen in der Regel zu 100 € zurückbezahlt werden, ist die Rendite für Anleger höher, wenn der Kurs bspw. bei 90 € liegt. Der Kursgewinn kommt zum Kupon, also dem Zins, hinzu.
Phase 1
Die 1. Phase des Anleihe-Aktien-Zyklus beginnt am Ende einer Rezession. Nachdem die wirtschaftliche Abschwächung eingesetzt hat, wurden die Zinsen gesenkt und Geld ist günstig verfügbar. Zudem meiden Investoren Aktien in dieser Phase noch, insbesondere weil das Vertrauen in Aktien noch niedrig ist und da Unternehmen in dieser Phase häufig neue Aktien ausgeben, um ihre Bilanzen mit frischem Eigenkapital zu unterfüttern. Anleihekurse hingegen steigen in der 1. Phase, weil Unternehmen ihre Bilanzen mit Eigenkapital auffüllen und die Verschuldungsquoten dadurch sinken. Das erhöht vermeintlich die Sicherheit für Anleihen. Steigende Anleihekurse bedeuten umgekehrt, dass die Anleiherenditen sinken.
Phase 2
Durch die niedrigen Zinsen wird die Konjunktur angekurbelt, was die Unternehmensgewinne und Cashflows und damit die Aktienkurse wieder ansteigen lässt. Auch Anleihekurse steigen in der Phase 2 weiter, mit damit einhergehend rückläufigen Renditen, was das sinkende Risiko vor dem Hintergrund einer an Fahrt gewinnenden Wirtschaft in dieser Phase spricht.
Phase 3
die 3. Phase des Anleihe-Aktien-Zyklus ist die wahrscheinlich heikelste. Hier befinden sich Aktien aufgrund einer inzwischen prosperierenden Wirtschaft unverändert in einer Aufwärtsbewegung. Aber die Risikoaufschläge und Renditen für Anleihen steigen bereits, was auf steigende Verschuldungen der Unternehmen zurückzuführen ist. Hinzu kommt, dass Anleger vermehrt von der Anlageklasse Anleihe zu Aktien wechseln, was Anleihen unter Druck bringt und Aktienkurse zusätzlich beflügelt. Die 3. Phase des Zyklus ist diejenige, in welcher sich an den Aktienmärkten Blasen bilden und die Bewertungsniveaus mit zunehmendem Reifegrad der Phase 3 immer weiter ansteigen. Die Warnsignale aus den Anleihemärkten werden dabei gerne übersehen.
Phase 4
Die Phase 4 ist der klassische Bärenmarkt, in welchem Anleihe- und Aktienkurse fallen. Die Gewinne der Unternehmen sinken und die Bilanzen der Unternehmen verschlechtern sich, mit der Folge zunehmender Gewinnwarnungen und Insolvenzen. Dies hat zur Folge, dass die Kreditvergabe restriktiver wird und Unternehmen schwerer an frisches Kapital gelangen. Aufgrund der auf breiter Front fallenden Kurse wäre es in der Phase 4 das Beste Cash oder Staatsanleihen sehr guter Bonität zu halten.
Die kritische Phase ist also die Phase 3. Je weiter der Anleihe-Aktien-Zyklus fortgeschritten ist, desto höher steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Korrektur an den Märkten kommt. Anders gesagt, je weiter der Zyklus in Phase 3 voranschreitet, desto höher sollte man die Cashquote fahren.
Wir haben festgestellt, dass in der Phase 3 die Anleihekurse bereits fallen und die Aktienmärkte dieses Signal in der Regel ignorieren. Das heißt wiederum, wir sollten als Aktieninvestoren einen genauen Blick auf den Anleihemarkt haben, um zu erkennen, dass der Reifegrad der Aufwärtsbewegung eventuell schon weit vorangeschritten sein könnte.
Hierfür gibt es zwei Indikatoren aus dem Bereich der Anleihen, die aus meiner Sicht wichtig zu beobachten sind. Das ist zum einen die Zinsstrukturkurve und zum anderen sind das die sog. Credit Spreads im Bereich der hochverzinslichen Anleihen (Junk Bonds).
Zinsstrukturkurve
Die Zinsstrukturkurve bildet die Renditen von Anleihen über verschiedene Laufzeiten ab. Dabei ist die Kurve im Normalfall aufwärts gerichtet, also mit niedrigeren Renditen am kurzen Laufzeitende und höheren Renditen am langen Laufzeitende. Gegen Ende eines Aufwärtszyklus flacht sich die Zinsstrukturkurve typischerweise ab, meist weil die Zentralbanken die Leitzinsen anheben und die Renditen damit am kurzen Laufzeitende ansteigen. Hinzu kommt, dass Investoren aufgrund der zunehmend schwindenden kurzfristigen Zuversicht gleichzeitig langlaufende Anleihen suchen, womit die Kurse dieser steigen und die Renditen sinken. Im Extremfall verläuft die Zinsstrukturkurve dann sogar invers, was bedeutet, dass die kurzfristigen Anleiherenditen höher notieren als die langfristigen Renditen.
Nun muss man nicht die gesamte Zinsstrukturkurve permanent verfolgen. Vielmehr reicht es, wenn man die Differenz aus zwei Punkten der Kurve bildet. Dafür nimmt man zum einen eine langfristige Anleihe, etwa 10-jährige Anleihe und eine kurzfristige Anleihe, etwa eine 1-jährige Anleihe. Wenn die Zinsstrukturkurve „normal“ aufwärts gerichtet ist, wird die Differenz positiv sein, also die Rendite der 10-jährigen Anleihe über der Rendite der 1-jährigen Anleihe liegen. Sinkt der Saldo gegen Null oder dreht sogar ins Negative, liegen die kurzfristigen Renditen über den langfristigen Renditen und die Zinsstrukturkurve hat eine inverse Form. Dies ist dann ein klares Signal dafür, dass der Zyklus sich dem Ende zubewegen könnte.
Credit Spreads
Credit Spreads beschreiben den Renditeaufschlag von Unternehmensanleihen auf Staatsanleihen. Da Unternehmensanleihen in der Regel als riskanter einzustufen sind als Staatsanleihen, werden diese meist mit einem Risikoaufschlag gehandelt, sprich mit einer höheren Rendite. Dieser Aufschlag ist jedoch nicht immer gleich, sondern steigt und fällt mit der Lage der Konjunktur. In florierenden Wirtschaftsphasen werden die Ausfallwahrscheinlichkeiten von Anleihen z.B. niedriger eingeschätzt, so dass die Credit Spreads niedriger sind. Steigt das Risiko von Ausfällen bei Unternehmensanleihen steigen die Credit Spreads an. Steigende Credit Spreads bedeuten steigenden Renditen für solche Unternehmensanleihen, was wiederum durch sinkende Anleihekurse zustande kommt. Die Kurse sinken, weil Investoren solche Papiere abstoßen.
Für die Messung der Credit Spreads eignen sich besonders hochverzinsliche Unternehmensanleihen im Vergleich zu quasi ausfallsicheren Staatsanleihen. Die hochverzinslichen Papiere werden deshalb herangezogen, da Emittenten dieser Papiere in der Regel die schwächste Bonität aufweisen und am ehesten in Rückzahlungsschwierigkeiten geraten. Daher sind Junk Bonds eine Art Frühwarnung. Steigt der Credit Spread deutlich an, bedeutet dies eine Zunahme der Ausfallwahrscheinlichkeit von Unternehmensanleihen, da die Risiken für finanzielle Schieflagen steigen.
Aktienbewertungen
Ein weiterer Indikator dafür, dass sich die Märkte bereits in der 3. Phase oder am Ende dieser befinden, ist die Aktienbewertung. Je höher das Bewertungsniveau von Aktien insgesamt ist, desto größer ist die potenzielle Fallhöhe. Sind Aktien günstig bewertet, ist das Risiko entsprechend geringer und der Fortschritt in der 3. Phase dürfte noch früh sein.
Was Aktienbewertungen insgesamt anbelangt, sind die klassischen Bewertungskennzahlen wie KGV, KBV oder Dividendenrendite sicherlich gangbare Messgrößen, natürlich auf den breiten Gesamtmarkt gesehen. Das Shiller-CAPE ist ebenfalls eine gute Kennzahl um das Bewertungsniveau des Gesamtmarktes einzuschätzen. Beim Shiller-CAPE wird der Durchschnittsgewinn der letzten zehn Jahre als Basis für die KGV-Berechnung benutzt. So werden konjunkturelle Schwankungen geglättet. Zudem wird eine Inflationsbereinigung vorgenommen.
Nicht zuletzt sind auch die Gewinnerwartungen der Unternehmen eine wichtige Größe. Solange Unternehmen steigende Ergebnisse erwarten, sind auch etwas höhere Bewertungsniveaus unter Umständen gerechtfertigt. Sinken die Gewinne erwartungsgemäß, sind höhere Bewertungsniveaus eher schwierig haltbar. Das gilt sowohl für Einzeltitel, aber eben auch den breiten Markt. Volkswirtschaftliche Abteilungen von Banken veröffentlichen solche Zahlen zu Weilen, welche gerne auch in der Presse zitiert werden. Auch auf Analystenschätzungen kann man diesbezüglich ein Auge haben.
Wo sind wir jetzt im Zyklus?
Die große Frage, die sich nun natürlich stellt, ist, wo wir uns derzeit innerhalb des Anleihe-Aktien-Zyklus befinden. Wenn wir einen Blick auf die Zinsstruktur werfen, wird deutlich, dass die langfristigen Zinsen sehr niedrig sind. So bewegt sich die Rendite 10-jähriger deutscher Staatsanleihen gerade bei 0,1 %. Die kurzfristigen Zinsen 1-jähriger Staatsanleihen rangieren sogar im negativen Bereich. Insofern ist die Zinskurve tendenziell sehr flach verlaufend. Die Differenz zwischen den langfristigen und kurzfristigen Renditen ist damit nur sehr geringfügig positiv und nahe der Nulllinie. Dies ist grundsätzlich ein negatives Indiz.
Die Credit Spreads von Junk Bonds sind in den vergangenen Monaten deutlich in die Höhe gestiegen. Dies impliziert eine erhöhte Ausfallwahrscheinlichkeit der dahinterstehenden bonitätsschwachen Unternehmen und eine erhöhte Risikosensitivität der Anleger. Hinsichtlich der Credit Spreads ist zu betonen, dass insbesondere in den USA und in Lateinamerika ein entsprechender Anstieg zu verzeichnen war. In Europa sind die Spreads zwar auch gestiegen, bei weitem jedoch nicht in dem Maße wie in Übersee. Nicht zuletzt gab es in den vergangenen Wochen bereits wieder eine deutlich Entspannung.
Angesichts der Bewertungsniveaus der Aktienmärkte können wir festhalten, dass dieses durchaus moderat und bei weitem nicht zu hoch ist. Vielmehr sind die KGVs unterhalb des historischen Mittels und die Dividendenausschüttungen auf Rekordniveaus. Was im Januar zur Belastung der Aktienmärkte führte, waren vor allem Ängste vor einer rückläufigen Ertragserwartung, vor dem Hintergrund der Wachstumssorgen in China, aber auch der nur moderaten Wachstumsdynamik weltweit. Inwiefern sich das bewahrheiten wird, ist natürlich nur schwer absehbar. Derzeit deutet unseres Erachtens nichts auf ein maßgebliches Abbremsen des Wachstumstrends bei den Unternehmen hin. Viele Unternehmen zeigen sich zwar aufgrund der Unsicherheiten nur vorsichtig optimistisch, gehen aber überwiegend von steigenden Umsatzerlösen aus. Damit sollten auch Gewinnsteigerungen möglich sein.
Typische Anzeichen für ein Ende des Anleihe-Aktien-Zyklus sind vielmehr Blasenerscheinungen an den Börsen. Das würde heißen, dass Bewertungen stark überhitzt sind oder Börsengänge zu horrenden Preisniveaus vollzogen werden. Das ist nicht der Fall. Auch Gewinnrevisionen von Analysten sind derzeit nicht im Gange, was auf die unveränderte Zuversicht, wenn auch zurückhaltend, der Unternehmen zurückzuführen ist. Wir befinden uns also klar in der 3. Phase des Zyklus, nur ist der Reifegrad bei weitem noch nicht sehr weit fortgeschritten. Vielmehr könnte es noch sehr lange dauern, bis die Phase 4 eintritt.
Fazit
Das Abschätzen der konjunkturellen Situation ist vielen Anlegern ein besonderes Anliegen, um die eigenen Investments besser steuern zu können. Jedoch ist die Vielfalt an Indikatoren schier unendlich und eine genaue Aussage aus ihnen zu ziehen ist sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich. Eine gute Hilfestellung kann in dieser Frage der Anleihe-Aktien-Zyklus sein. Mittels dieser Betrachtungsweise lässt sich zumindest bestimmen, in welcher Phase wir uns derzeit an den Märkten befinden. Unter Hinzunahme weiterer weniger Indikatoren lässt sich daraus nunmehr recht zuverlässig ableiten, ob man in der aktuellen Phase eher mehr oder weniger Aktien halten sollte. Wie gesagt, ein genaues Timing wird nie möglich sein, aber zu wissen, wo wir ungefähr stehen, kann bereits Gold wert sein.