Bei der Bildung von Kennzahlen werden verschiedene Grundgrößen verwendet. Die wohl am häufigsten herangezogene Grundgröße ist dabei die Marktkapitalisierung, in etwa bei der Berechnung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses oder des Kurs-Buchwert-Verhältnisses. Die Verwendung der Marktkapitalisierung als Basis wird dabei mit dem Argument begründet, dass diese schließlich den aktuellen Marktwert des Unternehmens widerspiegele. Jedoch handelt es sich bei der Marktkapitalisierung (Aktienkurs * Anzahl der Aktien) tatsächlich um den Marktwert des Eigenkapitals. Das Fremdkapital findet dabei keine Berücksichtigung. Allerdings haben verschiedene Unternehmen unterschiedliche Finanzierungsstrukturen, welche sich wiederum auf den objektivierten Wert eines Unternehmens auswirken.
Stellen Sie sich beispielsweise zwei ansonsten vollständig identische Unternehmen vor, die sich lediglich in der Finanzierungstruktur unterscheiden. Unternehmen A ist mit 100% Eigenkapital finanziert, Unternehmen B nur mit 50%. Marktkapitalisierung, Umsatzerlöse und Gewinne sind identisch. Für einen potenziellen Investor bedarf es für die vollständige Übernahme beider Unternehmen also gleich viel finanzieller Mittel. Jedoch erlangt der Investor im Falle von Unternehmen B nicht nur den Eigenkapitalanteil, sondern zusätzlich Schulden in Höhe von 50% der Bilanzsumme.
Diese Schulden muss der Investor früher oder später zurückführen; Schulden, die er vorher nicht hatte.Aus diesem Grund beträgt der eigentliche Kaufpreis für Unternehmen B nicht nur den Preis, den der Investor für das Eigenkapital bezahlt hat, sondern zusätzlich den Preis der übernommenen Schulden.
Um diesen Umstand der unterschiedlichen Finanzierungsstrukturen in Betracht zu ziehen, wird häufig eine um die Finanzierung bereinigte Bezugsgröße verwendet, um Kennzahlenbetrachtungen durchzuführen. Diese spezielle Bezugsgröße wird Enterprise Value (Unternehmenswert) genannt. Zur Marktkapitalisierung werden dabei die zinstragenden Verbindlichkeiten addiert. Natürlich werden kongruent dazu im gleichen Zuge vorhandene liquide Mittel und Wertpapiere gegengerechnet:
Der Enterprise Value (EV) drückt also zusammengefasst aus, wie hoch der Gesamtunternehmenswert unter Berücksichtigung der individuellen Verschuldungssituation ist. Auf Basis dieser Kennzahl können Unternehmen miteinander verglichen werden, die vollkommen unterschiedliche Verschuldungssituationen haben. Ein solcher Vergleich kann auf Basis der Marktkapitalisierung schnell zu Fehlinterpretationen führen.
EV/EBITDA
Die wohl gebräuchlichste Kennzahl auf Basis des EV ist das EV/EBITDA. Hierfür bedarf es zunächst einer Erklärung des EBITDA. Diese Abkürzung steht für Earnings before interest, taxes, depreciation and amortisation, also das Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisationen. Das EBITDA ist deshalb eine sehr geeignete Bezugsgröße für den EV, da es das operative Ergebnis ebenfalls vor der Finanzierung wiedergibt. Im EBITDA sind, wie gesehen, weder Abschreibungen noch Finanzierungskosten (z.B. Zinsen) enthalten, weshalb es die operative Entwicklung eines Unternehmens vor Investitions- und Finanzierungsentscheidungen wiedergibt, genau wie auch der EV.
Die Relation der beiden Kenngrößen gibt demnach wieder, wie viele Jahre ein Unternehmen benötigt, um den Gesamtunternehmenswert zu erwirtschaften, vorausgesetzt die Höhe des EBITDA bleibt konstant. Diese Interpretation sollte Ihnen bekannt vorkommen, denn sie ist gleich wie beim Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Auch das KGV gibt Aufschluss darüber, wie lange ein Unternehmen benötigt, um diesen Wert zu erwirtschaften. Allerdings ist beim KGV die Marktkapitalisierung die Bezugsgröße; beim EV/EBITDA ist es der EV.
Natürlich gibt es in diesem Zusammenhang die gleichen Schwierigkeiten, die auch bei der Interpretation des KGVs auftreten. Was ist als gut, was als schwach einzuschätzen? Wie beim KGV gibt es auch beim EV/EBITDA leider keine klare Antwort auf diese Frage. Vielmehr ist es auch bei dieser Kennzahl so, dass die Entwicklung über einen längeren Zeitraum zu beobachten ist, oder ein Vergleich mit anderen Unternehmen angestellt werden muss, um eine passende Aussage ableiten zu können. Als auf Erfahrungswerten basierende Faustformel kann man jedoch sagen, dass ein EV/EBITDA im einstelligen Bereich in der Regel als gut und eines von kleiner 5 als sehr günstig einzuschätzen ist. Wie gesagt sind dies jedoch lediglich Erfahrungswerte, welche stets auf ihre Validität hin geprüft werden sollten.
Stellt man keinen Vergleich mit anderen Unternehmen an, dann ist die entscheidende Frage, wie sich der EV/EBITDA über den Zeitverlauf verändert. Beträgt der Multiplikator im Jahr 1 beispielsweise 8,6 und im darauffolgenden Jahr 7,8, dann hat das Unternehmen offensichtlich seine Rentabilität gesteigert. Entweder ist der EV gesunken, das EBITDA gestiegen, oder sogar beides gleichzeitig.
ROIC
Da der EV eine substanzgetriebene Kenngröße und das EBITDA eine Gewinnkenngröße ist, kann die Relation der beiden Größen durch Kapitalrendite ausgedrückt werden. Dabei kann man verschiedene Kapitalrenditen verwenden. Gemeinsam haben alle Varianten der Rechnung jedoch, dass eine Gewinngröße ins Verhältnis zu einer Substanzgröße gesetzt wird.
So errechnet sich beispielsweise die Eigenkapitalrendite, indem der Jahresüberschuss (Gewinngröße) durch das Eigenkapital (Substanzgröße) geteilt wird. Als Werttreiber für den EV/EBITDA ist der Wert der sogenannten “Rendite auf das investierte Kapital” (return on invested capital = ROIC) heranzuziehen. Dieser errechnet sich aus dem operativen Ergebnis nach Steuern (net operating profit less adjusted taxes = NOPAT) und dem gesamten investierten Kapital (total invested capital = TIC).
NOPAT
Der NOPAT errechnet sich aus dem Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Earnings before interest and taxes = EBIT), das um den Steueraufwand bereinigt wird. Die Bereinigung um den Steueraufwand erfolgt deshalb, da man so eine Ergebnisgröße erhält, die die Höhe des allen Kapitalgebern des Unternehmens (also Fremd- und Eigenkapitalgebern) zur Verfügung stehenden Nachsteuergewinns ausdrückt.
Das NOPAT ist also der Wert, der vor den Zinszahlungen an die Fremdkapitalgeber und vor der Ausschüttung der Dividenden an die Eigenkapitalgeber bleibt.
TIC
Das gesamte investierte Kapital (TIC) ist eine leichte Abwandlung des EV. Während der EV, wie oben beschrieben, durch die Marktkapitalisierung zuzüglich der Bankverschuldung und abzüglich der finanziellen Mittel ermittelt wird, errechnet sich der TIC lediglich aus der Marktkapitalisierung zuzüglich der Bankverschuldung.
Damit lässt sich also festhalten, dass der ROIC die Rendite wiedergibt, die sämtliche Kapitalgeber (Eigen- und Fremdkapitalgeber) des Unternehmens auf ihr gesamtes Kapital (Eigenkapital und Bankverschuldung) erhalten. Zum Vergleich: Die Eigenkapitalrendite gibt im Gegensatz dazu beispielsweise lediglich die Rendite der Eigenkapitalgeber wieder. Die Fremdkapitalgeber finden bei der Eigenkapitalrendite keine Berücksichtigung. Der ROIC ist damit die relevante Rentabilitätsgröße wenn man den EV/EBITDA betrachtet, da das EBITDA ebenfalls eine Maßgröße ist, die allen Kapitalgebern zukommt.
ROIC und EV/EBITDA
Um den Kreis nun wieder zu schließen, können wir festhalten, dass eine Verbesserung (also ein Absinken) des EV/EBITDA dann stattfindet, wenn ein Unternehmen in der Lage ist, den ROIC zu steigern. Dies ist eines der fundamental wichtigsten Prinzipien in der Unternehmensbewertung und bei der Analyse von Aktien.Nur wenn ein Unternehmen langfristig dazu in der Lage ist, die Kapitalrenditen zu steigern, findet eine Erhöhung der Verzinsung der Kapitalgeber statt. Nur dann wird im gleichen Zuge eine Wertschöpfung erreicht, die den Unternehmenswert weiter steigert. Schließlich wird auch der Aktienkurs nur dann nachhaltig höher getrieben werden, wenn der Unternehmenswert steigt.
Damit wird deutlich, wie entscheidend die Betrachtung der Kapitalrenditen ist. Eine Veränderung des EV/EBITDA kann zugleich als Indiz dafür dienen, ob eine die Rentabilitätssituation verbessert wird. Auch kann der Vergleich mit anderen Unternehmen darüber Aufschluss geben, wer mit dem zur Verfügung stehenden Kapital am Effizientesten wirtschaftet.
Kapitalkosten
Die Bildung von Kennzahlen auf EV-Basis ist immer dann besonders geeignet, wenn Fremdfinanzierung im Spiel ist. Eigentlich ist dies immer der Fall. Die wenigsten Unternehmen kommen ganz ohne Kredite aus. Das Wirtschaften mit Fremdkapital hat indes vor allem den Vorteil, dass es letztendlich günstiger ist als Eigenkapital. Während ein Kredit zu niedrigen einstelligen Zinsen zu bekommen ist, verlangen Eigenkapitalgeber in der Regel hohe einstellige oder nicht selten sogar zweistellige Renditen. Ein höherer Anteil an Fremdkapital senkt demnach die Kapitalkosten. Jedoch sind die Kapitalkosten nicht etwa dann am geringsten, wenn ein Unternehmen zu 100% fremdfinanziert ist. Vielmehr steigen die Eigenkapitalkosten kongruent zum Anteil des Fremdkapitals an. Dies erscheint schon daher logisch, da das Risiko mit zunehmender Verschuldung steigt. Ein Unternehmen muss also die optimale Kapitalstruktur finden, um die Kapitalkosten zu minimieren.
Das EV/EBITDA ist schließlich auch abhängig von den Kapitalkosten. Je höher die Kapitalkosten, desto niedriger die Wertschöpfung und damit die Verzinsung der Kapitalgeber. Eine niedrigere Kapitalverzinsung führt wie besprochen zu einem höheren EV/EBITDA.
EV/Umsatz
Eine weitere weit verbreitete Kennzahl auf Enterprise Value-Basis ist der Wert EV/Umsatz. Der EV/Umsatz stellt dabei eine gute Alternative zur ?Schwesterkennzahl? Kurs/Umsatz-Verhältnis dar. Das Kurs-Umsatz-Verhältnis hat nämlich den Nachteil, dass nicht berücksichtigt wird, dass Umsatzerlöse eines fremdfinanzierten Unternehmens nicht vollständig den Eigenkapitalgebern zuzurechnen sind, sondern eben anteilig auch den Fremdkapitalgebern. Einige der Mittelzuflüsse aus den Umsatzerlösen werden nämlich dazu verwendet werden, Zinsen zu zahlen und Kredite zurückzuführen. Der EV/Umsatz schenkt der Realität unterschiedlicher Kapitalstrukturen Beachtung und ist daher in der Regel die geeignetere Kennzahl, insbesondere, wenn man mehrere Unternehmen mit unterschiedlichen Kapitalstrukturen vergleichen möchte.
Fazit
Die Kennzahl EV/EBITDA steht sowohl mit der Kapitalrendite als auch mit den Kapitalkosten eines Unternehmens in unmittelbarem Zusammenhang. Die Interaktion dieser Größen ist grundlegend und eine der essentiellsten Zusammenhänge für die Bewertung und Analyse von Unternehmen. Aus diesem Grund findet das EV/EBITDA weit verbreitet Anwendung und gilt als eine der wichtigsten Analyse-Kennzahlen überhaupt.