Im Jahr 1907 unternahm der Forscher Francis Galton ein Experiment. Auf einer Viehmesse ließ er Menschen Schätzungen darüber abgeben, wie schwer ein ausgestellter Ochse war. Unter den Teilnehmern befanden sich auf der einen Seite Landwirte oder Fleischer, also Berufsvertreter, die zumindest eine Idee davon haben könnten, wie schwer so ein ausgewachsener Ochse ist. Andererseits nahmen aber auch zahlreiche Laien an dem als Gewinnspiel getarnten Experiment teil. Dementsprechend groß war die Spannbreite der abgegebenen Schätzungen. Während einige sicherlich absurd niedrige Werte angaben, lagen andere weit über dem tatsächlichen Gewicht des Tiers. Erstaunlich war, dass der Durchschnitt aller Tipps mit 1.207 Pfund sehr eng am tatsächlichen Gewicht des Ochsen von 1.198 Pfund lag.
Dieses Phänomen nennt sich Weisheit der Massen und wurde in zahlreichen weiteren Tests bestätigt. In vielen Fällen sind die Antworten der Massen sogar präziser gewesen als jene von einigen Experten. An der Börse ist das ähnlich: Auch hier finden sich tagtäglich Millionen von Marktteilnehmern zusammen und bestimmen über Angebot und Nachfrage die Preise von Aktien. Wie auf der Viehmesse mischen auch am Aktienmarkt sowohl Marktteilnehmer mit, die ein hohes Maß an Verständnis mitbringen und sich gut auskennen, als auch Laien, die z. B. nur aus Spaß ein wenig mit Aktien „zocken“. Im Durchschnitt ergibt sich – ähnlich wie bei unserem Ochsenbeispiel – eine relativ effiziente Preisfindung.
Die Untersuchung, ob die Kapitalmärkte effizient sind, ist ein eigener Forschungsbereich, der sich mit der sog. Markteffizienzhypothese befasst. Diese geht davon aus, dass die in einem Markt gebildeten Preise alle verfügbaren Informationen vollständig widerspiegeln. Das impliziert, dass der Markt über rationale Erwartungen verfügt. Dabei bedeutet rationale Erwartung nicht zwangsläufig, dass alle oder die Mehrheit der Marktteilnehmer vernünftig oder gut informiert sind. Es reicht aus, dass die kollektive Einschätzung der Marktteilnehmer als rational erachtet werden kann.
Im Klartext heißt das: An den Börsen gibt es viele Teilnehmer, die völlig unterschiedliche Strategien verfolgen, Ansätze fahren, Erfahrungswerte haben und Ziele verfolgen. Trotz der Vielfalt an Meinungen ergibt sich im Mittel meist eine sinnvolle Preisbildung, in der alle historischen Informationen effizient verarbeitet sind.
Diversity Breakdown
Die Effizienz in der Preisbildung ist nur darum gegeben, weil eine große Diversität an Meinungen besteht, die in verschiedene Richtungen tendieren. Daraus entsteht im Mittel ein sinnvoller Wert. Allerdings gibt es Phasen an den Aktienmärkten, in denen diese Diversität zusammenbricht. Man spricht hier von Zusammenbruch der Vielfalt (Diversity Breakdown). In solchen Phasen bestehen nur noch wenige unterschiedliche Meinungen. Stattdessen laufen alle Anleger in eine Richtung. Mit diesem Zusammenbruch der Diversität an Meinungen gibt es dann auch keine Effizienz in der Preisfindung mehr. Oftmals passiert ein solcher Zusammenbruch der Vielfalt, wenn exogene Schocks stattfinden. Der daraus entstehende Herdentrieb führt teilweise zu deutlichen Über- oder Untertreibungen der Preise. Das wahrscheinlich eindrucksvollste Beispiel der letzten Jahrzehnte ist dabei wohl noch die Dotcom-Blase der späten 1990er-Jahre. Aber auch die Meme-Aktien wie Gamestop oder AMC sind Beispiele der jüngeren Vergangenheit, wo eine effiziente Preisbildung nicht mehr funktioniert hat.
Das Aussetzen der Preiseffizienz ist allerdings nur von begrenzter Dauer. Diese Anomalien werden immer wieder korrigiert, meist sogar relativ zügig. Dann kehrt die rationale Preisfindung zurück. Fraglich ist, welche Rolle etwa soziale Medien dabei spielen und ob sie eventuell dafür sorgen, dass deren Auftreten sich häufen. Denkbar ist das zumindest. Fakt ist, dass es derartige Zusammenbrüche der Meinungsvielfalt schon immer gab und wahrscheinlich auch in Zukunft geben wird. Interessant sind jedenfalls die Implikationen darauf, die sich für uns Anleger ergeben. Die Frage nach der Effizienz der Märkte können wir lediglich mit „Jein“ beantworten. Daher sollten wir unseren Investmentansatz darauf ausrichten.
Implikationen für den Investmentansatz
Klar ist mit diesen Erkenntnissen, dass wir keine Aktie kaufen sollten, nur weil ein vielversprechender Artikel in der Zeitung steht, worin über die guten Zukunftsaussichten des Geschäfts berichtet wird. Diese Informationen sind bereits in den Kursen verarbeitet. Andererseits beobachten wir auch immer wieder, dass Aktienkurse aufgrund von positiven Nachrichten deutlich nach oben schnellen (oder nach unten, im Falle von negativen Nachrichten). Das heißt, diese Informationen können vor Veröffentlichung noch nicht in den Kursen eingepreist gewesen sein.
Für uns bei Alpha Star ist die Konsequenz, dass wir in Unternehmen investieren wollen, deren Umfeldbedingungen derart gut sind, dass immer wieder positive Entwicklungen oder gar positive Überraschungen auftreten, die bislang nicht bekannt waren. Bei Veröffentlichung dieser positiven Entwicklungen werden die neuen Informationen an den Aktienmärkten gewichtet und die Effizienz der Märkte spiegelt dies in steigenden Kursen wider. Die größte Wahrscheinlichkeit, eine solch positive Grundtendenz bei einem Unternehmen zu erreichen, ist, wenn dieses Unternehmen eine langfristig sowie nachhaltig starke Wettbewerbsposition innehat. Denn üblicherweise führt Wettbewerb dazu, dass sich die Gewinnanteile in einem bestimmten Markt auf sämtliche Wettbewerber verteilen und dass einzelne Unternehmen keine Renditen oberhalb der Kapitalkosten erzielen. Die Weisheit der Menge reflektiert das in der Regel sehr gut, sodass mit diesen Aktien keine Überrenditen möglich sind. Unternehmen hingegen, die sich gut gegen Wettbewerb schützen können, müssen ihr Spielfeld nicht mit anderen teilen und weisen deshalb eine größere Wahrscheinlichkeit für eine gute Gewinnentwicklung auf oder sind sogar für positive Überraschungen gut.
Viel wichtiger als die jüngsten Quartalszahlen, die allen bekannt und damit in den Kursen verarbeitet sind, ist es für uns daher, eine qualitative Einschätzung zu den Unternehmen zu erstellen. Wir machen uns deswegen bei jedem unserer Depotunternehmen und bei jenen, die es werden könnten, ein Bild davon, wie das Geschäftsmodell und das Wettbewerbsumfeld tatsächlich aussehen könnten, und verwenden viel Zeit darauf, darüber nachzudenken, wie sich die Position des Unternehmens innerhalb dieser Umgebung in den nächsten Jahren verändern könnte.
Ebenso wichtig ist es uns, dass das Management eines Unternehmens verstanden hat, wie das eigene Unternehmen positioniert ist. Nur dann gibt es logischerweise auch die Möglichkeit, adäquat zu handeln und – wenn nötig – zu reagieren. Das Management ist schließlich das „Gehirn“ eines Unternehmens und bestimmt darüber, welche Investitionen zu welchem Zweck getätigt werden. Das wiederum bestimmt die zukünftige Entwicklung des Unternehmens.
Ein weiterer Aspekt unseres Handelns bei Alpha Star infolge der Erkenntnisse zur Markteffizienz ist, dass wir antizyklisch agieren. Immer dann, wenn die Effizienz an den Märkten vorübergehend verloren geht, eröffnet sich die Chance für uns, sehr gute Unternehmen zu ineffizienten, also sehr guten, Preisen zu erwerben. Wenn sich diese Ineffizienzen auflösen, steuert dies einen zusätzlichen Renditebeitrag bei. Das erfordert mitunter etwas Geduld, ist aber eine gute Gelegenheit, der sonst geltenden Effizienz an den Märkten zu entkommen.