Der Begriff tilt dürfte den meisten Anlegern nicht sehr geläufig sein, insbesondere nicht im Zusammenhang mit der Börse. Der Begriff stammt vornehmlich aus dem Pokerspiel und heißt, wörtlich übersetzt, soviel wie „neigen“ oder „kippen“. Im Poker beschreibt tilt eine Situation, in der die Stimmung eines Spielers kippt. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn ein Spieler eine Hand unglücklich verliert und er sich darüber ärgert. Dann kippt sein emotionaler Zustand, was dazu führt, dass der Spieler in der Folge Fehler begeht. In der Regel passieren die Fehler nach einem tilt deshalb, weil es dazu führt, dass Entscheidungen nicht mehr mit klarem Verstand getroffen, sondern durch Emotionen beeinflusst werden. In der Regel führt das dazu, dass die Resultate dadurch negativ beeinflusst werden.
Tilt an der Börse
In der Verhaltenspsychologie hat das Anlegerverhalten in den vergangenen Jahren massiv an Bedeutung gewonnen, insbesondere durch die Arbeit von Nobelpreisträger Daniel Kahnemann und seinem Kollegen Amos Tversky. Man spricht von emotional biases, was so viel bedeutet wie emotionale Verzerrungen oder emotionale Befangenheit. Als menschliche Wesen sind wir Emotionen ausgesetzt. Diese können unser Verhalten beeinflussen – meist nicht zu unserem Vorteil.
Auch das tilt-Konzept lässt sich vom Pokerspiel auf andere Lebensbereiche übertragen, auch auf das Investieren an der Börse. Denn, den Umstand, dass die Stimmung kippt und daraufhin schlechte Entscheidungen getroffen werden, ist bei Anlegern sehr häufig zu beobachten.
Ein klassisches Beispiel von tilt bei Anlegern ist, wenn ein Investment nach einer guten Phase den Rückwärtsgang einlegt und korrigiert. Oftmals ist dann zu beobachten, dass Anleger beginnen nervös zu werden oder gar Angst bekommen. Das führt dann unter Umständen dazu, dass das Investment verkauft wird, obwohl sich an den Rahmenbedingungen nichts verändert hat. Obwohl die Grundgedanken des Investments unverändert die gleichen sind, führt die Emotion des Anlegers zu einem Verkauf. Sofern die Grundannahmen valide waren, ist rein rational davon auszugehen, dass das Investment in Zukunft weiter steigen wird. Von diesem Anstieg wird der Anleger dann jedoch nicht mehr partizipieren. Insofern entsteht aus einer Emotion eine schlechte Entscheidung.
Verstärkt werden kann tilt durch ein anderes Phänomen, was im Fachjargon overconfidence genannt wird, also übermäßiges Selbstbewusstsein. Overconfidence beschreibt im Börsenumfeld den Umstand, dass Anleger sich positive Entwicklungen gerne zu stark ihren eigenen Fähigkeiten zuschreiben. Wenn z.B. ein Anleger eine Aktie kauft, die in der Folge stark steigt, kommt schnell die Auffassung auf, dass die Kursgewinne durch die eigenen Fähigkeiten entstanden sind, wobei man als Anleger in Wahrheit keinen Einfluss auf die Kursentwicklung der Aktie hat. Umso größer kann die Enttäuschung sein, wenn sich das Blatt wendet und die Aktie den Aufwärtstrend beendet und fällt. Die negative Entwicklung wird dann jedoch nicht mehr sich selbst zugeschrieben, sondern anderweitig begründet. Der emotionale Schmerz bzw. tilt kommt dennoch und führt zu irrationalen Handlungen.
Was hilft gegen tilt?
Die beste Grundvoraussetzung, um tilt zu vermeiden, ist, sich eine klare strategische Linie zu setzen und Kriterien zu formulieren, auf Basis deren man Investmententscheidungen trifft. Nur so lässt sich am Ende unterscheiden, ob wir einen sauberen Entscheidungsprozess vollzogen haben oder nicht.
Das ist deshalb wichtig, weil wir uns an der Börse in einem Umfeld bewegen, in welchem eine gute Entscheidung zu unerwünschten Ergebnissen, aber auch schlechte Entscheidungen zu guten Ergebnissen führen können.
Ein Beispiel: Wir können uns sehr ausgiebig mit einem Unternehmen beschäftigen, viele Daten sammeln, auswerten und in einem Gespräch mit dem Vorstand verifizieren. Wir können in der Folge zu dem Ergebnis kommen, dass das Unternehmen wahrscheinlich eine gute Entwicklung nehmen wird und die Aktie dann zu einer günstigen Bewertung kaufen. Trotz all der Sorgfalt und wohlüberlegten Investitionsentscheidung können wir zwei Jahre später feststellen, dass die Aktie nicht gestiegen oder sogar gefallen ist. Der Prozess war sauber und die Entscheidung war nach unseren Analysekriterien richtig. Dennoch haben wir die Kursentwicklung nicht in der Hand, mit dem Resultat eines unbefriedigenden Ergebnisses.
Umgekehrt kann es sein, dass man eine Aktie ohne tiefe Prüfung auf einen heißen Tipp hin erwirbt, die eventuell stark verschuldet ist und bei der die Gewinnentwicklung mehr als fragwürdig ist. Wenn die Aktie nun um 100% steigt, ist zwar das Resultat ein gutes, die Entscheidung die Aktie zu kaufen war dennoch falsch. In diesem Fall hätten wir schlichtweg Glück gehabt.
Wenn wir einschätzen können, ob unsere Entscheidung richtig war, können wir das Resultat objektiv einschätzen. Das bedeutet, dass wir uns Entscheidungsgrundlagen erarbeiten müssen, anhand deren wir Entscheidungen treffen. Bei den Alpha StarFonds haben wir diese Grundlagen zum Beispiel über viele Jahre hinweg immer erweitert, aus Fehlern gelernt und weiter verfeinert. Somit sind wir nunmehr gut in der Lage einzuschätzen, ob ein gutes oder schlechtes Resultat auf einer guten oder schlechten Entscheidung basiert.
Entscheidungen dokumentieren
Wenn man sich diese Möglichkeit der Differenzierung erarbeitet, fällt es bedeutend einfacher, Emotionen und damit Effekte wie tilt zu vermeiden. Denn, wenn ein schlechtes Resultat eintritt, kann man prüfen, ob dieses aufgrund einer schlechten Entscheidung erfolgt ist oder einfach Pech war. Im letzteren Falle spielt uns an der Börse dann die Zeit in die Karten. Wir müssen einfach warten. Umgekehrt kann man auch prüften, ob ein starkes Ergebnis Glück war oder auf einen sauberen Entscheidungsprozess zurückzuführen ist.
Deshalb sollte man Entscheidungen bzw. die Gründe für eine Entscheidung notieren. Nur so lässt sich im Nachhinein überprüfen, ob die Annahmen und Grundlagen valide waren. Man muss dabei bedenken, dass Entscheidung und Resultat an der Börse zeitlich sehr weit auseinanderliegen können. Im Zweifel wird man nach einigen Monaten und Jahren die Entscheidungsgründe nicht mehr eins zu eins rekapitulieren können.
Aber genau diese Selbstüberprüfung der Entscheidungsgrundlagen ist ein wichtiger Faktor im Lernprozess für bessere Entscheidungen. Nur über die Reflektion und Wiederholung können wir lernen und besser darin werden Entscheidungen zu treffen. Das schriftliche Formulieren der Investmentgründe oder das Aufschreiben einer Investmentthese sind daher wichtige Hilfsmittel.
Emotionen erkennen
Die besten Entscheidungsprozesse zu definieren, wird uns jedoch nicht vollständig immun gegen unsere Emotionen machen. Wir sind nun einmal Menschen. Daher sollten wir uns zusätzlich mit unseren eigenen Emotionen beschäftigen. Dabei kann es hilfreich sein zu versuchen zu erkennen, welche Emotionen wir gerade erleben. Im Börsenkontext sind das oftmals Gefühle wir Ärger, Angst oder aber auch Freude.
Wenn wir es schaffen, zu erkennen, welche Emotion uns im Moment heimsucht, können wir uns fragen, warum diese Emotion aufkommt und ob sie berechtigt ist. Allein diese Beschäftigung mit unseren Emotionen hilft ungemein daran zu arbeiten, uns auf den Entscheidungsprozess zu konzentrieren. Das wiederum verhindert im besten Falle, dass wir auf den emotionalen Impuls hin handeln, was meist genau die falsche Reaktion ist.
Wenn man als Aktionär z.B. Angst verspürt, weil die Börsen fallen, könnte man aus der Emotion heraus geneigt sein, seine Aktien zu verkaufen. Wenn man jedoch einen sauberen Entscheidungsprozess vollzogen hat, gibt es keinen Grund Angst zu haben. Ein gutes Unternehmen wird wieder neue Höchststände sehen. Zu verstehen, dass man Angst hat, hilft also dabei die Situation unter Kontrolle zu halten und im besten Falle sogar entgegen der Emotion zu agieren und Aktien des nun günstigen Unternehmens nachzukaufen.
Fazit
Die meiste Zeit sind wir dazu in der Lage rationale Entscheidungen zu treffen. Jedoch wird es hin und wieder dazu kommen, dass unsere emotionale Stabilität schwankt. Wenn dies der Fall ist, kann es leicht passieren, dass wir in der Folge sogar eine Reihe von schlechten Entscheidungen treffen. Schlechte Entscheidungen führend an der Börse in der Folge meist zu schlechten Ergebnissen. Insofern ist die Beschäftigung mit unseren Entscheidungsprozessen und Emotionen sehr wertvoll und kann dazu beitragen, dass wir lernen bessere Entscheidungen zu treffen und die Resultate dieser Entscheidungen besser einzuschätzen. In der Summe wird das über Zeit auch zu besseren Renditen beitragen.