Gemeinhin werden Wachstumsaktien als riskanter eingestuft als Aktien mit geringerem Wachstum. Das ist dahingehend wahr, dass bei Unternehmen mit einem derzeit hohen Wachstum meist eine höhere Unsicherheit bezüglich ihrer zukünftigen Wachstumserwartung besteht
Ein Unternehmen das heute 20% pro Jahr wächst, wächst vielleicht in Zukunft mit 10% oder mit 30% pro Jahr. Das ist eine recht hohe Streuung möglicher Entwicklungen. Ein Unternehmen hingegen, das heute mit 5% wächst, hat möglicherweise nur eine Bandbreite von 3% bis 7% für die kommenden Jahre. Die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Ereignisse ist einfacher prognostizierbar. Langfristig ist das fundamentale Risiko einer Aktie die potenzielle Spannweite der möglichen Resultate. Insofern sind wachstumsstarke Unternehmen in der Tat riskanter.
<p<>Über die Jahre haben wir jedoch bei Alpha Star die Vorteile eines höheren Wachstums zu schätzen gelernt. Zwar hat man mit wachstumsstarken Unternehmen das Risiko der größeren Spannweite der zukünftigen Resultate, mit wenig wachsenden Unternehmen haben wir jedoch das Risiko, dass das Wachstum nachhaltig so niedrig ausfällt, dass es nicht mehr mit der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung Schritt halten kann. Hier kann ein Unternehmen mit 5% Wachstum natürlich schneller auf 2% oder 3% zurückfallen, wenngleich die Spannweite zum Ausgangswert niedrig ist. Ein solcher Rückschritt der Wachstumsrate kann schwere Konsequenzen für die Aktie und deren Bewertung haben – und damit für die Rendite.
Zu erwartende Rendite
Werfen wir einen Blick auf die Komponenten, aus der sich die zu erwartende Rendite eines Unternehmens zusammensetzt. Die zu erwartende Rendite ergibt sich aus der Summe der Ertragsrendite und dem erwarteten Wachstum. Die Ertragsrendite ist dabei der Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) eines Unternehmens in Prozent ausgedrückt.
Erwartete Rendite = Ertragsrendite + Wachstumsrate
Beispiel: Erzielt ein Unternehmen mit einem Börsenwert von 100 Mio. € bspw. einen Gewinn von 4 Mio. €, beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) 25 (100 Mio. € Börsenwert / 4 Mio. € Gewinn = 25). Der Kehrwert des KGV in Prozent ausgedrückt ist die Ertragsrendite (1/25 * 100 = 4%). Ein Unternehmen mit einem KGV von 25 lässt demnach eine Rendite von 4% pro Jahr erwarten, wenn es kein Wachstum aufweist. Wenn zudem eine Wachstumsrate von 5% zu erwarten ist, ist die zu erwartende Rendite für die Aktie 9% dann (4% Ertragsrendite + 5% Wachstumsrate = 9%).
Eine Renditeerwartung von rund 9% ist ungefähr die Größenordnung, die wir auf Basis historischer Daten in den USA beobachten konnten. Dabei liegt die langfristig durchschnittliche Ertragsrendite in den USA bei ca. 4%. Die durchschnittliche Wachstumsrate von Unternehmen ist langfristig bei ca. 5% angesiedelt gewesen. Aus diesen beiden Werten ergibt sich eine langfristige durchschnittliche Renditeerwartung von 9% (4% Ertragsrendite + 5% Wachstumsrate). Auf anderen Märkten, wie Deutschland, sind die Zahlen leicht niedriger. Aber für eine Orientierung und ein Grundverständnis ist diese Betrachtung dienlich.
Gehen wir einmal davon aus, dass unsere Renditeerwartung 9% beträgt. Bei einem Wachstum von 5% ist eine Ertragsrendite von 4% erforderlich (4% Ertragsrendite + 5% Wachstum = 9% Renditeerwartung). Eine Ertragsrendite von 4% entspricht einem fairen KGV von 25 (Kehrwert von 4% = 1/4 = 25). In der folgenden Tabelle können wir nun sehen, wie sich die Ertragsrendite verändern muss, wenn die Wachstumsraten sinken, um eine Renditeerwartung von 9% aufrecht zu erhalten. Entsprechend sinkt auch die faire Bewertung und damit der Kurs der Aktie.
Wir können aus der Tabelle ablesen, dass ein Unternehmen, dass mit nur 1% wächst, nur halb so hoch bewertet sein darf, wie ein Unternehmen, dass mit 5% pro Jahr wächst, um unsere Renditeanforderung von 9% zu erfüllen. Verlangsamt sich das Wachstum des Unternehmens von 5% auf 1%, ohne dass die Ertragsrendite steigt, sinkt die Renditeerwartung auf nur noch 5% (1% Wachstum + 4% Ertragsrendite) und zerstört die Renditeziele. Ein Unternehmen das heute 100 Wert ist, müsste also im Wert auf 50 fallen, wenn sich das Wachstum von 5% auf 1% absenkt. Das ist ein großer Hebel für eine vermeintlich kleine Veränderung der Wachstumsrate.
Selbst eine kleine Veränderung, wie das Absinken der Wachstumsrate von 5% auf 4%, würde bedeuten, dass die Ertragsrendite von 4% auf 5% steigen müsste, um die langfristige Renditeerwartung von 9% zu erfüllen. Der Anstieg der Ertragsrendite von 4% auf 5% bedeutet ein Absinken des Free Cashflow-Multiples von 25 auf 20. Das bedeutet, dass die Aktie dauerhaft 20% weniger wert ist, als man bisher angenommen hatte.
Wir sprechen bei dieser Betrachtung nicht von einem einmaligen Rückgang der Wachstumserwartung. Jedes Unternehmen wird früher oder später auch einmal ein Jahr aufweisen, in dem kein Wachstum stattgefunden hat. Worum es bei dieser Betrachtung geht, ist die langfristige Wachstumserwartung. Aktienmärkte reagieren hier sehr empfindlich. Sobald ein Unternehmen die langfristige Erwartungshaltung an das Wachstum nicht mehr erfüllen kann, findet eine unweigerliche Preisanpassung statt.
Fazit
Jedes Unternehmen ist dem Risiko einer langfristigen Wachstumsabsenkung ausgesetzt. Auch das heute am schnellsten wachsende Unternehmen wird früher oder später niedrigere Größenordnungen erfahren. Und möglicherweise niedriger als man erwartet. Was wir aus dieser Betrachtung mitnehmen sollten, ist, dass das Risiko nicht unbedingt ein niedriges Wachstum ist, sondern ein Absinken der Wachstumserwartung, auch wenn dieses Absinken nur geringfügig ist.
Daher gilt es, Unternehmen zu identifizieren, die das Potenzial haben eine Wachstumsrate möglichst lange auf einem stabilen Niveau zu halten. Hierbei spielen Themen wie Markteintrittsbarrieren und Wettbewerbsvorteile eine wesentliche Rolle. Bestehen solche Vorteile, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass in der Zukunft stabile Wachstumsraten erzielt werden und damit die Bewertungsstabilität der Aktie entsprechend höher ist.