Die Fragestellung des richtigen Einstiegszeitpunktes an der Börse ist so alt wie die Börse selbst. Wir alle kennen die Geschichten von cleveren Anlegern, denen es gelungen ist, bei einer Aktie zum tiefst möglichen Zeitpunkt einzusteigen und am absoluten Höchstpunkt wieder den Ausstieg zu vollziehen. Die Gewinne sind beeindruckend und lassen die eigenen erzielten Renditen wie eine Sparbuchanlage aussehen. Übertroffen wird die atemberaubende Rendite noch durch den Umstand wie dieses Ergebnis erreicht worden ist, nämlich durch die messerscharfe Analyse der Wechselkursbewegungen im Zuge von politischen Veränderungen und die daraus zu erwartende resultierende Nachfragebelebung bei Unternehmen XY. Alles glasklar natürlich. Jeder hätte darauf kommen können. Die dargestellte Situation ist nicht einmal überspitzt wiedergegeben. Solche oder ähnliche Heldengeschichten hört man von Anlegern immer wieder. Meist hört man solche Geschichten aber von einer Person auch nur einmal. Der Grund dafür ist einfach. Die Analyse von komplexen Sachverhalten anzustellen ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist es, die Auswirkungen in einem zeitlichen Zusammenhang zu bringen, um an der Börse einen entsprechenden Profit daraus zu schöpfen.
Timing vs. langfristiges Investieren
Es ist kein Zufall, dass Topökonomen und Analysten mit ihren Prognosen so oft falsch liegen. Die Welt ist komplex, genauso wie die Wirtschaft. Ursache-Wirkungsanalysen sind modellhaft und berücksichtigen eine Vielzahl an Einflussfaktoren nicht. Noch deutlicher ausgedrückt: Das menschliche Gehirn kann die Komplexität überhaupt nicht nachvollziehen. Insofern kann man eine Geschichte, wie die oben erwähnte, ohne mit der Wimper zu zucken in die Kategorie Glück eingruppieren. Das ist natürlich erfreulich für denjenigen der dieses Glück hatte, nur können wir anlagestrategisch daraus keinen Mehrwert ziehen, da die Methode nicht reproduzierbar ist. Der Versuch, über Timing eine Optimierung der Rendite zu erreichen, ist nur mit Glück möglich. Man kann ein Einstiegszeitpunkt mal Glück haben, aber langfristig Geld verdienen ist damit nicht möglich. Genau das ist es aber, was Sie als Anleger verfolgen sollten: Langfristig und kontinuierlich Geld an der Börse verdienen. Wenn Sie ein anderes Ziel verfolgen, lassen Sie lieber die Finger von Aktien. Nun können Sie sich die Frage stellen, warum das Thema Einstiegszeitpunkt dann überhaupt behandelt werden muss. Die Konsequenz aus dem bisher dargestellten Fakten ist doch ganz klar, dass eine Anlage unmittelbar dann getätigt werden sollte, wenn die Entscheidung für diese Anlage positiv ausgefallen ist. Das heißt, wenn ich eine Aktie oder einen Fonds gut finde und die langfristigen Aussichten als vielversprechend einschätze, dann sollte ich umgehend und in der vollen geplanten Positionshöhe einsteigen.
Emotionen erkennen
Die Frage ist berechtigt und die Konsequenz ist vollkommen richtig. Es bringt wenig, zu überlegen, ob die Situation gerade optimal ist oder nicht. Erstens, wissen Sie es nicht, genauso wenig wie irgendwer sonst und zweitens spielt es auch auf lange Sicht eine sehr geringe Rolle, ob der Einstieg vor vielen Jahren einmal 10% höher oder tiefer ausgefallen war. Wenn die 10% auf 10 Jahre oder länger gesehen ins Gewicht fallen sollten, dann stellt sich eher die Frage, ob das Anlageinstrument, in das Sie investieren möchten, über ausreichend Potenzial verfügt und gut genug ist. Wahrscheinlich ist Ihnen das alles vollkommen klar. Wir wissen nicht was die Börsen machen werden und langfristig investieren macht immer Sinn. Dennoch drängt sich uns die Überlegung des Timings immer wieder auf. Die einschlägigen Börsenmedien sind voll mit Meinungen von Experten, die Ihnen wider besseren Wissens einreden, dass Timing möglich ist, unterlegt mit eloquenten Begründungen und Erklärungen von vermeintlichen Zusammenhängen. Warum Sie sich davon beirren lassen, hängt von vielen psychologischen und emotionalen Faktoren ab, von denen wir uns nur schwer befreien können. Diesen Umstand gilt es natürlich zu berücksichtigen. Wir sind emotionale Wesen, was sich nicht ausblenden lässt. Während der Eine mit ungewissen Ereignissen gut umgehen kann, wird der Andere schnell nervös. Was jedoch nicht passieren darf, ist, dass aus der Unsicherheit oder gar Angst heraus eine Schockstarre entsteht, die dazu führt, dass gute Investments nie gemacht werden. Häufig ist das nämlich das Resultat. Wenn dies der Fall ist, ist gar kein Problem gelöst. Insofern sollten Sie in sich gehen und überlegen, welcher Anlegertyp Sie sind, also wie es um Ihre emotionale Risikoneigung bestellt ist. Daran orientiert, lassen sich drei Handlungsstrategien ableiten, um einen Einstieg in eine Finanzanlage zu gestalten:
Handlungsstrategien
-
Einmalanlage
Die Einmalanlage ist die optimalste Form des Einstiegs. Da Timing-Komponenten langfristig irrelevant sind, kann man sich viele Überlegungen sparen und gleichzeitig verpasst man auch keine Rendite. Natürlich kann es nach dem Einstieg auch zunächst nach unten gehen. Das ist zwar langfristig egal, kann aber für den einen oder anderen emotional herausfordernd sein. Wer aber vom Grundsatz her risikobereit ist, wird mit einer Einmalanlage kein Problem haben. In Kombination mit einem langfristigen Anlagehorizont, wird das Resultat optimal sein.
-
Einmalanlage eines Teilbetrages und mehrere Tranchen in der Folge
Für Anleger, die grundsätzlich eine moderate Risikoneigung aufweisen, kann es emotional hilfreich sein, erst einen Teilbetrag anzulegen und den weiteren Teil in Tranchen zu späteren Zeitpunkten nachzulegen. Sollten die Kurse nach dem Investment des ersten Teilbetrages fallen, hilft es dem Anlegertyp mit moderater Risikoneigung, wenn er noch einmal günstiger nachkaufen kann. Steigen die Kurse, bezahlt man das geringere eingegangene Risiko natürlich mit einer niedrigeren Rendite. Je niedriger die Risikoneigung, desto niedriger die Einmalanlage des Teilbetrages und umgekehrt.
-
Einzahlung in mehreren Tranchen
Anlegern, die eine sehr niedrige Risikoneigung aufweisen, ist noch besser geholfen, wenn Sie überhaupt keinen größeren Einmalbetrag einzahlen, sondern den Gesamtanlagebetrag über mehrere Tranchen verteilen. Dabei ist es dem Anleger überlassen, in wie viele Tranchen der Anlagebetrag aufgeteilt wird und über welchen Zeithorizont die Einzahlungen erfolgen. Je kleiner die Tranchen im Verhältnis zum Gesamtanlagebetrag und je länger die Abstände zwischen den Tranchen, desto höher das Risikoempfinden des Anlegers. Der Extrempunkt dieser Einstiegsstrategie ist der Sparplan mit sehr niedrigen Einzeleinzahlungen. Das Risiko eines temporären Verlustes im Zuge eines Rückschlags an den Börsen wird über die Einzahlung in Tranchen minimiert, genauso wie umgekehrt die langfristige Renditeerwartung.
Fazit
Wer sich an der Börse engagiert, sollte langfristig denken. Wer langfristig investiert, muss sich nicht mit den vielen kleinen und größeren Störfaktoren beschäftigen, die tagtäglich auf die Börsen wirken und für die zahlreichen Schwankungen nach oben wie unten sorgen. Wer diesen Grundsatz verinnerlicht hat, erkennt, dass es Sinn macht, ein Investment ohne weitere Überlegungen hinsichtlich des Einstiegszeitpunktes zu tätigen, sofern natürlich die Überzeugung vorhanden ist, dass das betreffende Finanzinstrument langfristig eine gute Perspektive aufweist.
Dennoch ist der Einstieg in eine Aktie oder einen Fonds auch ein emotional geprägtes Thema. Jeder Anleger ist verschieden und hat unterschiedliche Risikoempfindungen, die nur schwer veränderbar sind. Um diesen Risikoempfinden gerecht zu werden, kann es sinnvoll sein, andere Einstiegsstrategien zu verfolgen, als die Einmalanlage. Diese Strategien helfen Anlegern insbesondere den „Seelenfrieden“ in Balance zu halten, wenngleich die langfristigen Renditeerwartungen damit möglicherweise reduziert werden. Das ist jedoch immer noch besser, als aus einer Schockstarre heraus überhaupt nicht zu investieren bzw. nicht zu wissen, wie man am besten vorgehen sollte. Denn dann ist die Möglichkeit, eine positive Rendite zu erzielen, vollständig verloren.