Die Frage nach der Bewertung von Aktien ist eine der meist diskutierten Themen überhaupt im Spektrum des aktiven Investierens. Viele Anleger sind darauf bedacht, ein möglichst gutes Unternehmen zu einem möglichst günstigen Preis zu erwerben, um die Renditechancen dadurch zu verbessern. Jedoch gibt es bei beiden Faktoren keine fest definierten Messpunkte. Das heißt, sowohl die Qualität eines Unternehmens kann unterschiedlich beurteilt werden, als auch die Bewertung einer Aktie. Es gibt keine fest definierten Größen, was schon allein daran liegt, dass jedes Unternehmen verschieden ist und jeweils ganz andere Parameter Einfluss auf die Geschäftsentwicklung nehmen.
Natürlich haben sich über die Jahrzehnte verschiedene Orientierungspunkte herauskristallisiert, an denen sich Anleger häufig orientieren. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis, also die Relation des Gewinns eines Unternehmens zu seinem Börsenwert. Dennoch bleiben Zweifel darüber, ob ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von beispielsweise 20 als hoch einzustufen ist oder ein Wert von 9 als günstig. Zu viele Einflussfaktoren spielen eine Rolle, als dass eine kristallklare Abgrenzung in jedem Fall möglich wäre. Ein einstelliges Kurs-Gewinn-Verhältnis als günstig einzustufen und eines von 20 als teuer, ist daher nicht mehr als eine Faustformel.
Kapitalrendite als Messgröße für Qualität
Die Frage nach Qualität und Bewertung lässt sich jedoch adressieren. Der Ausgangspunkt für die Überlegung ist, dass ein Unternehmen mit hoher Qualität vermutlich eine höhere Bewertung von Anlegern zugestanden wird, als ein Unternehmen geringerer Qualität. Das macht daher Sinn, da hochqualitative Unternehmen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit gute Produkte anbieten, dabei eine gute Marktposition in ihrer Branche einnehmen und das Management gute Entscheidungen trifft. Diese und weitere Faktoren erhöhen die Chance für Anleger, dass das Unternehmen Umsätze und Gewinne in den kommenden Jahren steigern kann. Je sicherer die zukünftige Gewinnentwicklung ist, desto mehr kann ich als Anleger dafür bezahlen.
Eine der besten Kennzahlen zur Messung von qualitativen Merkmalen ist die Kapitalrendite. Die Kapitalrendite bringt zum Ausdruck, wie viel Rendite in Prozent ein Unternehmen aus dem operativen Geschäft heraus auf das dafür investierte Kapital erwirtschaftet. Schafft es ein Unternehmen beispielsweise mit einem Kapital von 100 Mio. €, etwa in Form von Maschinen, Vorräten und Werksgebäuden, einen operativen Gewinn in Höhe von 10 Mio. € zu erwirtschaften, wird das Kapital mit 10% verzinst (10 Mio. € Gewinn / 100 Mio. € investiertes Kapital).
Ein qualitativ hochwertiges Unternehmen wird mit dem gleichen Kapital mehr Gewinn erwirtschaften können, als ein anderes Unternehmen. Die Kapitalrendite dient damit als Qualitätsindikator für ein Unternehmen. Je höher die Kapitalrendite, desto höher ist die Qualität des Unternehmens einzuschätzen.
Dabei gibt es verschiedene Ausprägungen der Kapitalrendite, mit jeweils etwas anderen Berechnungsmethoden. Bei der Titelselektion im Alpha Star verwenden wir den sog. Return on Invested Capital (ROIC). Die Details sollen uns an dieser Stelle nicht interessieren. Egal welche Kapitalrendite-Kennzahl man verwendet, die Aussage einer höheren Qualität des Unternehmens und einer besseren Wertschöpfung für Aktionäre bleibt immer gleich.
Was hat Kapitalrendite mit Bewertung zu tun?
Die Kapitalrendite drückt also die Verzinsung des Unternehmenskapitals aus. Das bedeutet, dass ein Unternehmen eine entsprechende Wertsteigerung erzielen kann, wenn es neues Kapital investiert und wieder zur gleichen Verzinsung einsetzt. Verwendet also ein Unternehmen mit 10% Kapitalrendite seinen Gewinn von beispielsweise 10 Mio. € und reinvestiert dieses Geld in die Erweiterung seines Geschäfts, wird es mit diesem zusätzlich investierten Kapital 1 Mio. € mehr Gewinn erwirtschaften (10 Mio. € neu investiertes Kapital * 10% Kapitalrendite = 1 Mio. € Gewinnwachstum). Da wir als Aktionäre Teilhaber von Unternehmen sind, bedeutet das auch, dass sich der Wert unseres anteiligen Gewinns entsprechend um 10% erhöht. Wenn ein Unternehmen also seine Gewinne zur mindestens gleichen Kapitalrendite reinvestieren kann, wird damit das Gewinnwachstum vorangetrieben. Da Gewinnwachstum für Aktienkurse der Werttreiber schlechthin ist, ist es eine gut geeignete Vorgehensweise, Unternehmen nach der Möglichkeit der Reinvestition von Gewinnen zu betrachten.
Verdeutlichen wir uns dieses Prinzip an einem Beispiel:
Nehmen wir einmal an, wir haben ein Unternehmen A, dass eine Kapitalrendite von 10% erwirtschaftet. Um ein Wachstum der Gewinne von beispielsweise 5% zu erreichen, müsste das Unternehmen 50% seiner erwirtschafteten Gewinne reinvestieren (10% Kapitalrendite * 50% Reinvestition). Die restlichen 50% der Gewinne könnte das Unternehmen für andere wertschöpfende Aktivitäten verwenden (Dividende, Akquisitionen, Schuldentilgung etc.). Ein zweites Unternehmen B erwirtschaftet eine signifikant höhere Kapitalrendite von 50%. Damit dieses Unternehmen seine Gewinne um 5% steigern kann, muss es nur 10% des erwirtschafteten Gewinns reinvestieren (50% Kapitalrendite * 10% Reinvestition). Es würde ein viel höherer Betrag übrig bleiben für andere Verwendungen als bei Unternehmen A, dennoch wäre das Gewinnwachstum mit 5% gleich hoch.
Anders ausgedrückt, könnte man sagen, dass Unternehmen A für das gleiche Wachstum 50 Cent von jedem verdienten Euro investieren muss, während Unternehmen B nur 10 Cent jedes verdienten Euros investieren muss. In Prozent ausgedrückt heißt das, dass Unternehmen A nur 50% der Gewinne an Aktionäre zurückgeben kann, während Unternehmen B 90% der Gewinne zurückgeben kann, bei gleicher Wachstumserwartung.
Wenn Unternehmen B 90% der Gewinne potenziell an die Aktionäre zurückgeben kann und Unternehmen A nur zu 50%, dann kann man davon ausgehen, dass Unternehmen B um 80% höher bewertet sein darf als Unternehmen A (90%/50% = +80%), da entsprechend mehr Wertschöpfung bei den Aktionären ankommt.
Im Umkehrschluss bedeutet das, wenn Unternehmen A beispielsweise derzeit mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20 bewertet ist, dass Unternehmen B durchaus mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 36 bewertet sein darf, also 80% höher, ohne wirklich teurer zu sein. Wenn Unternehmen B demnach mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 30 erworben werden kann, ist es aufgrund der höheren Wertschöpfung für Aktionäre dennoch als attraktiver einzuschätzen als Unternehmen A zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20. Die deutlich höhere Verzinsung des Kapitals macht den gravierenden Unterschied und zeigt, dass es durchaus attraktiv sein kann höhere Preise zu bezahlen, wenn im Gegenzug eine herausragende Qualität erworben wird.
Fazit
Natürlich ist die Betrachtung der Kapitalrenditen kein Allheilmittel. Ein Unternehmen mit hoher Kapitalrendite muss auch in der Lage sein, die Überschüsse, die es daher erwirtschaftet, zu mindestens gleichen Kapitalrenditen wieder zu reinvestieren. Gelingt das nicht, sinkt auch die Wertschöpfung und damit die Rechtfertigung für einen höheren Bewertungsaufschlag.
Daher ist es ein wichtiger Teil der Analyse zu evaluieren, ob es einem Unternehmen gelingen kann zu gleichen Kapitalrenditen zu reinvestieren. Ein wesentliches Kriterium hierfür ist, dass das Unternehmen mit starken Alleinstellungsmerkmalen und Wettbewerbsvorteilen ausgestattet ist. Denn, wenn attraktive Kapitalrenditen erzielt werden, wird es immer Wettbewerber geben, die darauf aus sind ebenfalls in den Markt einzudringen. In der Regel ist es daher nur eine Frage der Zeit, bis sehr hohe Kapitalrenditen auf ein Normalmaß zurückgehen.
Aber es gibt Unternehmen, die es schaffen über viele Jahre und Jahrzehnte ihre Wettbewerbsvorteile zu schützen und so nachhaltig hohe Kapitalrenditen zu erwirtschaften. Ein Blick auf die historisch erzielten Kapitalrenditen über einen langen Zeitraum kann also Aufschluss darüber geben, ob ein Unternehmen mit Wettbewerbsvorteilen ausgestattet ist. Ist das der Fall, dann ist oft auch ein Bewertungsaufschlag für die Aktie kein Nachteil, sondern kann vielmehr ein Zeichen anhaltender Exzellenz sein.