Neben dem Kurs-Gewinn-Verhältnis ist auch das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) eine der beliebtesten Kennzahlen zur Bewertung von Aktien. Auch das KBV hat den Vorteil der einfachen Berechnung. Die Berechnungsgrößen lassen sich problemlos aus den veröffentlichten Zahlenwerken eines Unternehmens ablesen: Das KBV berechnet sich aus dem Quotienten aus Marktkapitalisierung und Eigenkapital.
Auch kann man die Berechnung pro Aktie anstellen. Dabei ist zwar der Kurs der Aktie leicht in Erfahrung zu bringen, jedoch muss das Eigenkapital je Aktie separat berechnet werden, da dieses in der Regel in der Berichterstattung der Unternehmen nicht aufgeführt wird. Die Berechnung auf Gesamtbasis bietet sich daher in der Regel bevorzugt an. In Formeln ausgedrückt sieht die Berechnung des KBV wie folgt aus:
Anders als etwa das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist das KBV keine Kennzahl zur Evaluation der Ertragsstärke eines Unternehmens. Vielmehr lässt sich mittels des KBVs das Verhältnis zwischen Börsenwert, also der Marktkapitalisierung, und dem Substanzwert, also dem Eigenkapital, messen. Das KBV dient demnach der Substanzwertbetrachtung.
Oftmals wird das KBV als eine der wichtigsten Kennzahlen von Value-Investoren betrachtet. Die Interpretation des KBV macht deutlich, warum. Ist das Eigenkapital eines Unternehmens größer als seine Marktkapitalisierung, errechnet sich ein Verhältnis kleiner 1.
Dies bedeutet, dass dem Unternehmen an der Börse nicht einmal der Wert seines Eigenkapitals zugestanden wird. Sofern also das Eigenkapital als werthaltig erachtet werden kann, ist eine Notierung der Aktie unterhalb des Eigenkapitals nicht gerechtfertigt. Dementsprechend gilt ein KBV kleiner 1 als günstig.
Nehmen wir einmal an, ein Unternehmen besitzt ein Aktivvermögen von 10 Mio. €, das sich ausschließlich aus Cash zusammensetzt, also definitiv werthaltig ist. Wenn zusätzlich Schulden in Höhe von 4 Mio. € vorhanden sind, beläuft sich das Eigenkapital entsprechend auf 6 Mio. € (Aktivvermögen – Verbindlichkeiten = Eigenkapital). Notiert die Aktie aber bei einer Marktkapitalisierung von 5 Mio. €, dann errechnet sich ein KBV von 0,83 (5 Mio. Marktkapitalisierung / 6 Mio. Eigenkapital). Die Aktie ist also um ca. 17 % unterbewertet.
Die Überlegung dabei ist einfach. Wenn die Eigentümer sich dazu entschließen würden, das Unternehmen zu liquidieren, verblieben nach Tilgung der Verbindlichkeiten 6 Mio. € in Form von Cash. Es würde also mehr verbleiben, als wenn die Eigentümer ihre Aktien über die Börse verkaufen würden, wobei nur 5 Mio. € erlöst werden würden.
Wie viel ist das Eigenkapital wert?
Soweit die theoretische Modellrechnung. Natürlich ist es in der Praxis nicht der Fall, dass ein Unternehmen ausschließlich Aktivposten in Form von Cash besitzt. Um das operative Geschäft zu betreiben, ist vielmehr je nach Geschäftsmodell der Besitz ganz unterschiedlicher Vermögensgegenstände notwendig. Diese können Gebäude, Kraftfahrzeuge, Maschinen oder Computer umfassen. Auch Vorräte und Forderungen, etwa gegen Kunden, sind Vermögensgegenstände, denen ein Wert beigemessen werden kann.
Wir erinnern uns: Das Eigenkapital berechnet sich aus der Differenz zwischen dem Wert der Aktivposten und den Verbindlichkeiten. Die Schwierigkeit liegt dabei in der Beurteilung der Werthaltigkeit der Vermögensgegenstände. Hier lauern die größten Stolperfallen bei einer KBV-Betrachtung.
Verfügen die Vermögensgegenstände etwa nicht über die ausgewiesene Werthaltigkeit, wird das Eigenkapital zu hoch ausgewiesen, womit auch das errechnete KBV zu niedrig wäre. Damit würde eine günstige Bewertung suggeriert, für die die Voraussetzungen tatsächlich nicht gegeben sind.
Dementsprechend ist es absolut notwendig, die Vermögensgegenstände eines Unternehmens unter die Lupe zu nehmen. Die Bandbreite an Vermögensgegenständen ist schier endlos. Wir konzentrieren uns daher auf die wichtigsten Vermögensgegenstände, die am häufigsten zu Problemen führen können.
Immaterielles Vermögen
Der größte Streitpunkt zwischen Analysten und Investoren sind immaterielle Vermögensgegenstände wie Firmenwert, Kundenlisten, Patente und Lizenzen oder ähnliches. Immaterielle Vermögensgegenstände sind nicht greifbar und besitzen keinen einfach bestimmbaren Marktwert. Insbesondere gilt dies für den Firmenwert (engl.: Goodwill).
Der Firmenwert ist derjenige Betrag, den ein Unternehmen im Rahmen einer Übernahme eines anderen Unternehmens oberhalb dessen Eigenkapitals bezahlt. Die Zahlung solcher Überschussbeträge kann sinnvoll sein, etwa weil sich durch die Übernahme Synergien ergeben oder strategische Vorteile erlangt werden. Diese Vorteile sind jedoch nicht greifbar und werden erst in der Zukunft deutlich, wenn tatsächlich Erträge daraus generiert werden können.
Da diese immateriellen Vermögensgegenstände solchen Unsicherheiten unterworfen sind, mindern einige Analysten und Investoren das Eigenkapital um immaterielle Vermögensgegenstände, insbesondere um Firmenwerte, bevor sie das KBV berechnen. Man kann sich vorstellen, dass dies insbesondere dann drastische Auswirkungen auf das KBV haben kann, wenn ein Unternehmen über sehr viel immaterielles Vermögen verfügt.
Das gilt zum Beispiel für Holdinggesellschaften, die viele Übernahmen tätigen, oder Technologieunternehmen, die aufgrund ihrer Entwicklungstätigkeiten eine Reihe von immateriellen Vermögen angehäuft haben. Diesen Unternehmen würde man Unrecht tun, das Eigenkapital einfach um die immateriellen Vermögensgegenstände zu kürzen. Eine einfache Lösung für diese Problematik gibt es indes leider nicht.
Wer aber auf Nummer sicher gehen will, kürzt immaterielles Vermögen in der Regel hinaus. Auf der anderen Seite gibt es auch keinen Grund zur Annahme, dass die immateriellen Vermögensgegenstände nicht werthaltig sein sollten, insofern ein Unternehmen profitabel operiert und gute Cashflows erwirtschaftet. Eine Wertminderung ist dann nicht zu erwarten und eine Kürzung des Eigenkapitals folglich nicht notwendig.
Dieser pragmatische Ansatz ist in unseren Augen zu bevorzugen. Dennoch gilt es die Werthaltigkeit des immateriellen Vermögens stets im Auge zu behalten und zu hinterfragen.
Umlaufvermögen
Auch das Umlaufvermögen muss einer ständigen Betrachtung unterworfen werden. Insbesondere gilt es, Forderungen und Vorräte zu begutachten. Bietet ein Unternehmen etwa ein Produkt an, für das es auf dem Markt keine Käufer mehr gibt, muss der Vorratsbestand eventuell abgewertet werden. Dies mindert das Eigenkapital. Das gleiche gilt für gelagerte Rohstoffe.
Benötigt ein Unternehmen Kupfer für die Produktion, dann hält es einen Lagerbestand an Kupfer. Sobald die Kupferpreise fallen muss auch dieses abgewertet werden. Durch ständige Beobachtung der Preise kann man eventuelle Abwertungen antizipieren. Ein KBV von 1 kann vor einem solchen Hintergrund in einem komplett anderen Licht erscheinen.Ähnliches gilt für Forderungen. Fällt die Forderung gegen einen großen Kunden aus, könnte dies zu einer starken Belastung des Unternehmens führen, da die Forderung dann wertlos ausgebucht werden müsste. Das Eigenkapital wird belastet. Daher ist es wichtig, die Kundenstruktur eines Unternehmens zu kennen. Gibt es ein Klumpenrisiko oder sind die Kunden nicht sehr solvent, so muss dies genauestens beobachtet werden.
Verbindlichkeiten
Während Vermögen auf der einen Seite zu hoch bewertet sein kann, können auf der anderen Seite Verbindlichkeiten zu niedrig angesetzt sein. Meist stellt dies zwar in Bezug auf Kreditverbindlichkeiten kein Problem dar, da diese hinsichtlich der Frist und Fälligkeit bekannt sind.
Zu hinterfragen sind in der Regel vor allem Rückstellungen. Stellen Sie sich einmal vor, ein Unternehmen hat einige Prozessrückstellungen eingeplant – im Falle eines negativen Urteilsausgangs fiele die Belastung einer Schadenersatzzahlung aber deutlich höher aus als antizipiert. Dies würde das Eigenkapital über die bisherige Erwartung hinaus kürzen, mit erhöhender Wirkung auf das KBV.
Ein ebenfalls schwieriges Thema sind Pensionsrückstellungen, deren Berechnung vielen Variablen unterlegen ist. Die Veränderungen dieser Faktoren kann entscheidende Differenzen in der Höhe der Pensionsrückstellungen herbeiführen und die Höhe des Eigenkapitals entscheidend verändern.
Stille Reserven
Auf der anderen Seite sind bei einer KBV-Betrachtung aber nicht nur die stillen Lasten zu berücksichtigen, sondern auch stille Reserven. Ist das Anlagevermögen eines Unternehmens in der Bilanz zu niedrig ausgewiesen, errechnet sich auch ein zu hohes KBV.
In den meisten Fällen stecken solche stillen Reserven in Immobilienvermögen. Verfügt ein Unternehmen beispielsweise über Immobilienvermögen, das in der Bilanz aber nicht mit seinem wahren Wert angesetzt ist, dann ist auch das Eigenkapital zu niedrig ausgewiesen.
Für eine korrekte KBV-Betrachtung ist eine rechnerische Berücksichtigung des wahren Wertes einer solchen Immobilie vorzunehmen, indem das Eigenkapital um die stille Reserve erhöht wird. Auch dies ist kein einfaches Unterfangen, da die Bestimmung der Höhe der stillen Reserve eine sorgfältige Recherche und Berechnung erfordert.
Keep it simple
Wer genau berechnen will, kann man eine Vielzahl von Korrekturen und Bereinigungen vornehmen. Oftmals ist eine solch ausführliche Betrachtung jedoch nicht notwendig, da die Aussagekraft des KBV als solches sowieso nicht überschätzt werden sollte. Viele Unternehmen, die unter Buchwert notieren (Marktkapitalisierung < Eigenkapital = KBV < 1), erwirtschaften Verluste.
Verluste wiederum verringern das Eigenkapital und damit die Substanz eines Unternehmens. Entsprechend muss eine Notiz unter Buchwert kein Zeichen für eine günstige Bewertung sein. Auf der anderen Seite bedeutet ein hohes KBV, etwa von 3 oder 4, nicht, das ein Unternehmen als schlecht einzuschätzen ist. Im Gegenteil haben Studien ergeben, dass Unternehmen mit einem hohen KBV sogar bessere Renditen erzielen als Aktien mit einem niedrigen KBV.
Was ist der Hintergrund dessen? Warum dann überhaupt eine Betrachtung des KBV durchführen? Deutlich wird dies, wenn man das KBV aus einer anderen Perspektive betrachtet. Dieses kann nämlich auch als Funktion in Abhängigkeit der Rentabilität ausgedrückt werden:
Aus diesem Zusammenhang wird deutlich, dass der Buchwert einer Aktie umso höher ist, je höher der erwirtschaftete Jahresüberschuss sowie die erzielte Eigenkapitalrendite eines Unternehmens ist. Entsprechend ist auch das KBV bei stark profitablen Unternehmen mit hohen Eigenkapitalrenditen höher. Dabei wird deutlich, dass die Beurteilung eines Unternehmens anhand seiner Rentabilität letztendlich die wichtigste Betrachtung überhaupt ist.
Das KBV ist gut geeignet, um eventuelle Unterbewertungen zu identifizieren. Aber die Verwendung des KBV ist keinesfalls ein Allheilmittel. Vielmehr ist auch das KBV eine Funktion der Rentabilität. Darauf sollte der Schwerpunkt bei der Einschätzung eines Unternehmens gelegt werden.